Aufgaben, Pflichten und Legitimität staatlichen, politischen und gesetzgeberischen Handelns leiten sich aus dem Staatszweck, der Verfassung sowie dem geistigen, kulturellen und ethischen Selbstverständnis einer Gesellschaft ab. Doch was sind eigentlich Staatszweck und ideelle Grundlagen der modernen europäischen Staaten?
Staatstheorie: Vertragsstaat
Ausgangs des Mittelalters kam es im Zuge der Aufklärung und der Abkehr von der Vorstellung der gottgegebenen und gottgewollten Ordnung auf Basis der Herrschaftsgewalt der von Gott auserwählten ‘Starken’, meist des Adels (Absolutismus, Feudalismus), zu einer Renaissance der Idee des Staates als gemeinsame, ‘öffentliche Sache’, als res publica der Bürger, wie sie bereits im alten Griechenland und im alten Römischen Reich existierte. Der Staat wurde nicht mehr als Instrument zur Durchsetzung von Macht, Interessen und Visionen adeliger Herrscher betrachtet, sondern als Zusammenschluss der Bürger zum Nutzen aller Bürger auf Basis eines Gesellschaftsvertrages.
Gemäß Thomas Hobbes, der als Vertreter eines ‘aufgeklärten Absolutismus’ gilt, bei dem der Herrscher an Naturrecht (nicht zu verwechseln mit dem ‘Recht des Stärkeren’!) und Gemeinwohl gebunden ist, dient ein solcher Gesellschaftsvertrag dem Zweck, den Naturzustand des ‘Krieges aller gegen aller’ zu beenden.
Der liberale John Locke geht im Gegensatz zu Hobbes von einem Naturzustand einer Gesellschaft in Freiheit und Gleichheit (Gleichberechtigung) aus und hält eine Regierung nur für legitim, wenn sie die Zustimmung der Regierten hat, sieht den Zweck eines Staates aber ebenfalls darin, die gefährdeten Elemente Freiheit, Gleichheit und das Recht auf Eigentum zu schützen und zu sichern. Damit der Staat seine Macht nicht missbrauchen kann, schlägt Locke die Trennung von Legislative und Exekutive vor (Checks & Balances), die Montesquieu später zur Lehre von der Gewaltenteilung erweiterte, zu der auch eine unabhängíge Justiz gehört.
Auch der 3. bedeutende Vertragsstaat- Theoretiker Jean-Jacques Rousseau geht von einem Naturzustand von Freiheit und Gleichheit aus. Ausgehend von den Ideen Lockes beschäftigt er sich intensiv mit dem Verhältnis zwischen der Freiheit des Einzelnen und den Chancen, Risiken, Anforderungen und Pflichten des (staatlichen) Gemeinwesens und Gemeinwohls. Im Contrat social II, 15 stellt Rousseau die Frage:
«„Wie findet man eine Gesellschaftsform, die jedes Glied verteidigt und schützt und in der jeder Einzelne, obgleich er sich mit allen vereint, dennoch nur sich selbst gehorcht und so frei bleibt wie bisher?’“
Damit ist das Grundproblem der Demokratie formuliert: Die Autonomie des Einzelnen wird nicht als Gegensatz und potenzielle Bedrohung der Staatssouveränität betrachtet, sondern als ihre unaufhebbare Voraussetzung. Ihr Schutz ist somit die wesentliche Staatsaufgabe. Wie aber können freie Individuen eine allgemeingültige Ordnung herstellen?
Die Lösung sah Rousseau in der Volkssouveränität: Nur als souverän entscheidende Gesamtheit könne jeder Bürger (citoyen) seine Freiheit bewahren, also nur durch politisch gleichberechtigte Partizipation an allen Entscheidungen. Der Gemeinwille könne nicht delegiert werden, sondern müsse von möglichst vielen, tendenziell allen Bürgern getragen werden, um allgemeingültig sein zu können. Der rechtmäßige Staat könne nur auf dem Gesamtbeschluss aller Bürger beruhen.» (Staatstheorie, Wikipedia)
Rousseau gilt als ein wichtiger Vordenker und Wegbereiter der Französischen Revolution.
Staatstheorie: National-, Rechts- und Sozialstaat
Die neuzeitlichen, demokratisch verfassten National-, Rechts- und Sozialstaaten in Europa sind kulturell fast alle traditionell christlich geprägt, jedoch nicht christlich verfasst (eine Einheit von Staat und Religion ist im Christentum gemäß der Zwei-Reiche-Lehre auch gar nicht vorgesehen, vielmehr sind dort weltliches und göttliches Reich getrennte Sphären). Das ideengeschichtliche Fundament dieser Staaten bildet vielmehr die Aufklärung, deren Werte in der Französischen Revolution, aus der der erste moderne europäische Nationalstaat hervorging, in der Formel ‘Freiheit, Gleichheit, Brüderlichkeit’ zum Ausdruck kommen. Jedoch sind fundamentale christliche Werte wie Barmherzigkeit und Nächstenliebe im Humanismus der Aufklärung aufbewahrt. Im Gegensatz zum Christentum gründen diese Werte im Humanismus jedoch nicht auf Einseitigkeit und Aufopferung, sondern auf Gegenseitigkeit und Solidarität. Wer anderen Menschen keine Menschenrechte zugesteht, kann sie auch nicht in vollem Umfange für sich selbst beanspruchen. Beispiel: Straftäter in Haft. Und während im Christentum Dankbarkeit nur erhofft wird, wird sie im Humanismus in Form von Beitragsleistung auch eingefordert. [Anmerkung: In der christlichen Staatstheorie gibt es hingegen durchaus bereits den dialektischen Spagat zwischen einem auf einen idealen Zustand hin – allerdings im Jenseits – ausgerichteten Glauben und pragmatischer irdischer Vernunft, eine Dialektik, die ich als Vorstufe des Humanismus betrachte. Vielleicht kann man das Konstrukt auch als Verantwortungsethik interpretieren, in der ja stets eine (gesinnungsethisch inspirierte) Perspektive von einer ‘besseren’ oder zumindest einer ‘guten Welt’ enthalten ist].
Staatstheoretisch handelt es sich bei den modernen demokratischen europäischen Staaten um erweiterte – nämlich um mehr oder minder umfangreiche Komponenten der Sozialfürsorge erweiterte – Vertragsstaaten, sogenannte Rechts- und Sozial- bzw. Wohlfahrtsstaaten, deren wesentliche Basis ein Volk im Sinne einer nicht- exklusiven, aber organisch gewachsenen und sich entwickelnden Abstammungs-, Herkunfts-, Sprach-, Kultur-, Werte-, Schicksals-, Solidar- und Verantwortungsgemeinschaft bildet, die über ein definiertes Staatsgebiet verfügen und in denen mündige, aufgeklärte Staatsbürger untereinander einen Gesellschaftsvertrag mit festgelegten Rechten & Pflichten auf Gegenseitigkeit eingehen.
Parlament und Regierung sind dabei die vom Souverän, dem Volk als Gesamtheit der Bürger auf Zeit gewählten, bestellten Treuhänder, die die Einhaltung des Gesellschaftsvertrages sicherstellen müssen, dem Bürger Rechenschaft schuldig sind und die vom Souverän per Volksentscheiden zum Handeln verpflichtet werden (direkte Demokratie) oder per Wahlen alle paar Jahre gewählt werden (repräsentative Demokratie), um das Wohl des Staatsvolkes zu erhalten und zu mehren und seine Interessen zu vertreten. Dementsprechend lautet der Amtseid von Bundespräsident, Bundeskanzler und Bundesministern in Deutschland: „Ich schwöre, dass ich meine Kraft dem Wohle des deutschen Volkes widmen, seinen Nutzen mehren, Schaden von ihm wenden, das Grundgesetz und die Gesetze des Bundes wahren und verteidigen, meine Pflichten gewissenhaft erfüllen und Gerechtigkeit gegen jedermann üben werde. So wahr mir Gott helfe.“
Zusammen mit der staatlichen Fürsorge für Bedürftige ist ein aufgeklärter Staat eine Art erweiterte, institutionalisierte Familie, in der definierte Individual- und Kollektivrechte, individuelle Freiheit sowie gesellschaftliche Solidarität gleichermaßen Wertschätzung erfahren und in der ein Ausgleich zwischen beiden angestrebt wird, nach dem Motto: Eigenwohl & Gemeinwohl bedingen einander. Oder: Es gibt kein Eigenwohl ohne Gemeinwohl und kein Gemeinwohl ohne Eigenwohl.
Freiheit & Sicherheit der Bürger als oberster Staatszweck
Nach der modernen Staatslehre (Drei-Elemente-Lehre) ist ein Staat definiert durch Staatsgebiet, Staatsvolk und Staatsgewalt, wobei mit Staatsgewalt die Funktionsfähigkeit der drei voneinander unabhängigen Gewalten Legislative, Exekutive und Judikative, die Rechtsordnung sowie das staatliche Gewaltmonopol gemeint ist. Als inoffizielle 4. Gewalt nimmt man heute noch gerne unabhängige Medien hinzu. Eine 5. Gewalt könnten und sollten angesichts der immer offener zu Tage tretenden strukturellen Defizite des Parteiensystems m.E. verbindliche Volksentscheide in Grundsatzfragen wie in der Schweiz darstellen. Eine repräsentative Demokratie ist auf charakterfeste Politiker angewiesen. Solche Persönlichkeiten setzen sich aber immer seltener in Parteien durch.
Der aufgeklärte (!) Staat ist kein Selbstzweck und auch kein partikularer Zweck für bestimmte Gruppen oder Lobbies, er ist vielmehr eine gemeinsame Sache (res publica) aller Bürger zum Erhalt und zur Regelung eines freiheitlichen, sicheren, geordneten und harmonischen Zusammenlebens im Rahmen gesellschaftlichen Friedens. Der Staatszweck, i.e. die Hauptaufgabe demokratischer National-, Rechts- und Sozialstaaten, besteht also darin, Freiheit & Sicherheit der Bürger gegen Gefahren und Angriffe von innen wie von außen zu verteidigen, aufgeklärtes Recht durchzusetzen, Geben & Nehmen und einen Ausgleich der Interessen sicherzustellen sowie die Bürger vor existenzieller Not zu bewahren. Die Möglichkeit zur kreativen und produktiven Selbstentfaltung und Selbstverwirklichung zugunsten des Eigenwohls ist ebenso zu erhalten und zu schützen wie das Gemeinwohl, zu dem ein jeder einen gerechten Beitrag gemäß seiner Möglichkeiten und unter Beachtung sowohl der Leistungs- wie der Verteilungsgerechtigkeit zu leisten hat.
Voraussetzung dafür ist der Erhalt des Staates selbst in seiner freiheitlich- demokratischen, pluralistischen und rechtsstaatlichen Verfasstheit inklusive der Gewaltenteilung zur Abwehr externer oder partikularer Machtgelüste. Hierfür wiederum ist der Erhalt der ethischen, moralischen und kulturellen Substanz in Form eines aufgeklärten Bewusstseins der Angehörigen des Gemeinwesens erforderlich. Dieses kulturelle Bewusstsein ist im Menschen veranlagt [eigenwohl- orientierte, nächstenwohl- orientierte & gemeinwohl- orientierte Instinkte, Gerechtigkeitsempfinden (2)], aber nicht entwickelt, es muss durch Sozialisation gefördert und geschützt werden, die Selbstbestimmung, Selbstverantwortung und den Sinn für Gerechtigkeit ins Zentrum der Erziehung stellt. Der Staatsrechtler und Rechtsphilosoph Ernst-Wolfgang Böckenförde hat das in seinem ‘Böckenförde-Diktum’ wie folgt dargelegt:
„Der freiheitliche, säkularisierte Staat lebt von Voraussetzungen, die er selbst nicht garantieren kann. Das ist das große Wagnis, das er, um der Freiheit willen, eingegangen ist. Als freiheitlicher Staat kann er einerseits nur bestehen, wenn sich die Freiheit, die er seinen Bürgern gewährt, von innen her, aus der moralischen Substanz des einzelnen und der Homogenität der Gesellschaft, reguliert. Anderseits kann er diese inneren Regulierungskräfte nicht von sich aus, das heißt mit den Mitteln des Rechtszwanges und autoritativen Gebots zu garantieren suchen, ohne seine Freiheitlichkeit aufzugeben und – auf säkularisierter Ebene – in jenen Totalitätsanspruch zurückzufallen, aus dem er in den konfessionellen Bürgerkriegen herausgeführt hat.“ (Böckenförde-Diktum)
Das Diktum legt nahe, dass eine durch sorgfältige Familienpolitik und Sozialisation bewirkte, aufgeklärte ethisch- kulturelle Homogenität als immaterielles Sozialkapital eine herausragende Bedeutung für den biologischen und kulturellen Fortbestand eines freiheitlichen Gemeinwesens hat und bei Zuwanderung Integrationsbereitschaft und Integrationsfähigkeit der Zuwanderer wie der Gesellschaft eine herausragende Rolle spielen. Denn alle Kultur beginnt mit Sozialisation.
Anmerkung aus aktuellem Anlass: Eine Wohlfahrts- oder Wohltätigkeits- Organisation für das Wohl der Bürger anderer Staaten oder gar aller Menschen auf der ganzen Welt ist ein Staat nicht. Die Sorge um das Wohl der Bürger anderer Staaten ist primär Aufgabe der jeweiligen Staaten bzw. – unbeschadet besonderer nachbarschaftlicher Nähe und Verantwortung – Gegenstand und Gemeinschaftsaufgabe der Staatengemeinschaft (UN). Auch NGOs können sich diese Aufgabe stellen, jedoch auf privater, freiwilliger und autonomer Basis.
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Aufklärung: Der Mensch als selbstbestimmtes, gesellschaftliches Subjekt
Das aufgeklärte Menschenbild basiert auf der Idee vom Menschen als einem freien, unbedingten und selbstbestimmten Subjekt, das gemäß Selbstzweckformel keinen fremden Zwecken unterworfen ist.
Der Mensch ist aber kein reines Vernunftwesen, sondern ein ‘Zwischenwesen’ aus Natur, Kultur, Erfahrung und Vernunft. Daher hat aufgeklärtes Denken bzw. ein aufgeklärtes Gemeinwesen die Pflicht, die natürlichen, kulturell gewachsenen, individuellen und geistigen Bedürfnisse und Dispositionen stets zu respektieren.
Da der Mensch kein Einzelgänger ist, sondern ein gesellschaftliches Lebewesen (Zoon Politicon), braucht es Regeln für den gesellschaftlichen Umgang miteinander. Die aufgeklärte Vorstellung von menschlicher Gemeinschaft beruht auf der Idee von Gleichberechtigung und Gleichwertigkeit der menschlichen Subjekte sowie gemäß kategorischem Imperativ und Menschheitszweckformel auf der humanistischen Idee, dass Menschen respektvoll, gerecht und kooperativ zusammenleben sollen. Freiheit endet bei der Freiheit des anderen, Selbstbestimmung ist an Selbstverantwortung geknüpft, so dass niemand den anderen mutwillig beeinträchtigt oder ihm zur Last fällt. Die Beziehungen zwischen den Menschen sollen auf gegenseitigem Respekt, fairem Geben & Nehmen und dem Streben nach einem gerechten Ausgleich von Interessen gründen.
Gemäß dem Prinzip der Gleichberechtigung kann sich niemand auf ein Grundrecht berufen, das er nicht zugleich anderen gewährt. Jedes Recht bedingt somit auch eine Pflicht: Das Recht auf Freiheit bedingt die Pflicht zum Respekt vor der Freiheit anderer und vor der Schöpfung, Selbstbestimmung bedingt die Pflicht zur Selbstverantwortung, das Recht auf Hilfe in der Not bedingt die Pflicht, alles zu tun, um Notsituationen zu vermeiden bzw. zu beheben. Denn kein Mensch lebt primär für einen anderen. Es gibt keine Pflicht zu Selbstausbeutung, Selbstaufgabe oder Selbstaufopferung.
Das harmonische Zusammenleben in einer aufgeklärten Gesellschaft und zwischen Gesellschaften im Geiste von Aufklärung und Humanismus erfordert somit von allen Angehörigen dieser Gesellschaft(en) Einsicht, Bereitschaft und Fähigkeit, die Regeln der Aufklärung zu respektieren und zu befolgen. Erziehung, Sozialisation und ggfls. Integration haben u.a. die Aufgabe, die Verinnerlichung dieser Regeln zu befördern.
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Völker und Staaten als erweiterte Subjekte. Völkerrecht
Gewachsene, gewordene, freiwillig eingegangene oder bestehende Zusammenschlüsse von Menschen wie Völker, Gesellschaften und Staaten sind erweiterte Subjekte, im Falle von Staaten oder staatlich verfassten Gesellschaften völkerrechtliche Subjekte. Auch Völker und Staaten sind im Verhältnis zu anderen Völkern und Staaten freie, unbedingte, autonome und selbstbestimmte Subjekte, die keinen fremden Zwecken dienen, während sie zugleich dem Wohl ihrer Angehörigen verpflichtet sind.
Völker, Gesellschaften und Staaten können zur Regelung der Beziehungen ihrer Angehörigen untereinander auf die jeweilige Kultur und Lebensart zugeschnittene spezifische Sitten, Bräuche und Gewohnheiten entwickeln sowie Rechte und Pflichten demokratisch beschließen, die außerhalb ihrer Gemeinschaft und gegenüber Dritten nicht gelten, z.B. erhöhte Rechte und Pflichten zwecks Versorgung Junger, Alter oder Bedürftiger in gegenseitiger Verantwortung. So ist Sozialhilfe oder Hartz 4 kein Menschenrecht, sondern auf dem Prinzip von Gegenseitigkeit beruhende institutionalisierte Solidarität innerhalb einer spezifischen Gesellschaft, in der familiäre Bindungen keine soziale Absicherung mehr bieten und Selbstversorgung nicht möglich oder üblich ist. Staatliche Sozialsysteme entstanden in Deutschland infolge der Industriellen Revolution und der damit einher gehenden Auflösung der erweiterten Familenverbände. – In tribalistisch organisierten Gesellschaften tritt familiäre oder Stammes- Solidarität an die Stelle der über staatliche Institute geübten Solidarität.
Auch das moderne Völkerrecht basiert auf der Aufklärung. Wie die Beziehungen von Menschen in einer Gesellschaft sollen die Beziehungen der Völker im Rahmen der Weltgemeinschaft auf Respekt vor dem Recht auf Selbstbestimmung anderer Völker, Selbstverantwortung für das eigene Volk, fairem Geben & Nehmen (fair trade & economy) und dem Streben nach einem gerechten Ausgleich von Interessen gründen. Das bedeutet auch, dass im Regelfalle primär das Heimatland und die Heimat- Kultur für Sicherheit, Versorgung und Wohl seiner Bürger bzw. Angehörigen verantwortlich ist. Dazu gehört auch die inner- wie intergesellschaflich sozialverträgliche Steuerung der Bevölkerungsentwicklung, insbesondere die Begrenzung des Bevölkerungswachstums, dem Haupttreiber für Krieg und Bürgerkrieg, Migration und Expansion bis hin zu Invasion sowie der Hauptursache für Armut und Not.
Die Vielfalt von Menschen, Erfahrungen und Überzeugungen kommt in der Einteilung der Welt (gemeinschaft) in selbstbestimmte und selbstverantwortliche Völker und Staaten und damit in überschaubare Einheiten mit gleichen oder verwandten Kulturen, Weltanschauungen und Sozialisationen zum Ausdruck. Gemäß aufgeklärtem Völkerrecht gehorcht sie dem Prinzip der horizontalen Subsidiarität unter Gleichen (Gleichberechtigten), während ein aufgeklärter Bundesstaat nach dem Prinzip der vertikalen Subsidiarität organisiert ist, nach dem im Rahmen von Selbstbestimmung in Selbstverantwortung besonders aufwändige oder umfangreiche Gemeinschaftsaufgaben auf übergeordnete Verantwortungsebenen delegiert werden, die aber stets von den Basis-Körperschaften demokratisch kontrolliert werden.
Im Zuge der Globalisierung delegieren auch Staaten oder Staatenverbünde Aufgaben an übergeordnete globale Ebenen, etwa im Rahmen der Vereinten Nationen. Doch auch hier liegt nach dem Subsidiaritätsprinzip die Entscheidungsmacht oder zumindest ein Vetorecht bei den delegierenden Staaten. Dieses Prinzip wird aktuell gerne von Lobbies ausgehebelt und verwässert, die eine zentralistische ‘Neue Weltordnung’ anstreben. Dabei kommt es immer wieder zu kaum auflösbaren Konflikten zwischen verschiedenen universalistischen Weltanschauungen, ob in Religionen oder in der Aufklärung begründet. Und ebenso findet ein Ringen um Macht und Einfluss statt, bei dem universalistische Ansprüche nur ein Mittel zum Zweck darstellen.
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Emigration und Immigration
Gemäß der Bedingung der Freiwilligkeit des Zusammenschlusses muss ein Staat Auswanderung zulassen. Gemäß seiner Eigenschaft als selbstbestimmtes erweitertes Subjekt hat er auf der anderen Seite das Recht, selbst darüber zu bestimmen, ob er Zuwanderung zulassen will oder nicht und wenn ja, in welchem Umfang. Es gibt keine Pflicht, Immigration zu akzeptieren, abgesehen von Zuwanderung auf Basis persönlicher Beziehungen, wenn der Lebensunterhalt sichergestellt ist, da dies die individuelle Selbstbestimmung von Staatsbürgern des eigenen Staates tangiert.
Ob Zuwanderung Sinn macht oder nicht, hängt von einer Vielzahl von Faktoren ab: Räumliche Kapazitäten und geographische Gegebenheiten, natürliche Ressourcen wie Fruchtbarkeit der Böden zur Selbstversorgung mit Nahrungsmitteln, Besiedelungsdichte, Bevölkerungsentwicklung, sex ratio, Wohnraum und Arbeitsplätze, Erfordernisse oder Einschränkungen hinsichtlich Natur, Umwelt, Klima und weiteres mehr. Nicht minder wichtig ist die Integrationsfähigkeit einer Gesellschaft.
Unter den Flächenstaaten der Welt gehört Deutschland zu dem Fünftel der am dichtesten bevökerten Länder (Rang 11 von 58 Ländern mit über 20 Mio Einwohnern gemäß Wikipedia). Wie vernünftig ist es bei dieser Konstellation, Deutschland generell zum Einwanderungsland zu erklären?
Entschließt sich ein aufgeklärter liberaler Staat dazu, Zuwanderung zu akzeptieren, so ist er in der Pflicht, die Zuwanderung mit Umsicht und Sorgfalt zu gestalten. Denn er trägt die Verantwortung für Sicherheit und Wohl des Gemeinwesens und der Menschen darin, muss für Sozialverträglichkeit sorgen, das kulturelle und soziale Kapital bewahren und befördern und ein harmonisches Zusammenleben und den Erhalt von aufgeklärter Kultur und Lebensart sicherstellen. Zu diesem Zwecke ist auf die kulturellen, sozialisationsbedingten und beruflichen Qualifikationen der Zuwanderer zu achten, auf ihre Fähigkeit und Bereitschaft zur Integration, zur Anerkennung der Regeln der Gemeinschaft, zur Selbstversorgung sowie zur Leistung eines gerechten Beitrages zum Gemeinwesen. So knüpft das deutsche Aufenthaltsrecht die Erteilung eines Aufenthaltstitels im Regelfall an die Bedingung, dass der Lebensunterhalt gesichert ist.
Denn was für menschliche Subjekte gilt, gilt auch für gesellschaftliche oder völkerrechliche Subjekte: Kein Volk und kein Staat existiert primär für andere Völker bzw. für Menschen aus anderen Staaten oder Völkern. Es gibt keine Pflicht zu Selbstausbeutung oder gar Selbstaufgabe und Selbstaufopferung.
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Nothilfe, Intervention, Flucht und Asyl
Wie oben dargelegt, ist das Selbstbestimmungsrecht der Völker gekoppelt an die Pflicht zur Selbstverantwortung. Das bedeutet, dass jeder Staat die Pflicht hat, Strukturen zu schaffen, die nachhaltig dafür sorgen, dass seine Bürger nicht in Not geraten und aus existenzieller Not migrieren müssen. Diese Pflicht besteht nicht nur den eigenen Bürgern gegenüber, sondern auch andern Staaten und Völkern gegenüber: Kein Staat hat das Recht, seine politischen, wirtschaftlichen oder kulturellen Probleme wie etwa Leistungs- und Verteilungsungerechtigkeit, Polygamie oder Bevölkerungswachstum anderen Staaten aufzubürden. Dies wäre nichts anderes als ein aggressiver Akt!
Doch natürlich gibt es Naturkatastrophen oder Hungersnöte, es ereignen sich Kriege und Bürgerkriege, es entstehen grausame Tyranneien und es gibt systematische Menschenrechtsverletzungen. In diesen Fällen ist die Völkergemeinschaft aufgefordert, im Sinne von aufgeklärter Humanität und menschlicher Solidarität (s.o. Menschheitszweckformel) Hilfe zu leisten und u.U. einzugreifen.
Katastrophenhilfe ist vor Ort zu leisten, ebenso können Hunger, Armut, Perspektivlosigkeit und Kriminalität mit Abstand an besten durch gezielte Maßnahmen vor Ort sinnvoll und effizient bekämpft werden. Es ist nicht zuletzt ein Gebot der Verantwortungsethik, die vorhandenen Ressourcen so einzusetzen, dass sie eine möglichst große Wirkung entfalten und möglichst vielen Menschen zugute kommen. Diesen Problemen mit Massenmigration abhelfen zu wollen, ist nicht nur um ein Vielfaches aufwändiger als Hilfe vor Ort, sondern verletzt auch die Heimatrechte sowohl der umgesiedelten wie der aufnehmenden Bevölkerungen. Die selektive Aufnahme und Versorgung einiger fitter junger Männer in anderen Ländern ist überdies Sozialdarwinismus und sowohl im Hinblick auf Arbeitsmärkte wie auf Sozialsysteme fragwürdig.
Im Falle von Kriegen oder Bürgerkriegen kann die Einrichtung von militärisch gesicherten Schutzzonen gerechtfertigt sein, in Fällen von systematischen eklatanten Menschenrechtsverletzungen oder gar Genoziden ist nach sorgfäliger Abwägung auch eine humanitäre militärische Intervention der Völkergemeinschaft (UN) (u.U. auch geeigneter Bündnisse von Staaten?) auf Basis robuster Mandate zwecks Bekämpfung von Terror oder auch zum Zwecke der Absetzung einer Tyrannis gerechtfertigt.
Massenflucht ist nur im Falle von Krieg, Bürgerkrieg, Genozid und Menschenrechtsverletzungen eine Option, falls die Einrichtung von Schutzzonen nicht möglich ist. In solchen Fällen ist den Flüchtlingen in Nachbarländern oder Ländern der weiteren Peripherie vorübergehend Aufnahme zu gewähren, unterstützt von der Weltgemeinschaft (s.u. die Position von Paul Collier). Parallel dazu sind die von der Massenmigration betroffenen Länder dazu verpflichtet, den Konflikt durch massive politische und diplomatische, u.U. auch humanitäre militärische Maßnahmen auf Basis robuster Mandate (siehe vorhergehender Absatz) so rasch wie möglich beizulegen, um den Flüchlingen so bald wie möglich eine sichere Rückkehr ins Heimatland zu ermöglichen. Dies ist auch deshalb erforderlich, um die Lasten und Risiken der Migrationsströme für Geflüchtete ebenso wie für die aufnehmenden Bevölkerungen so gering wie möglich zu halten. U.U. ist die Einrichtung von Transitlagern in Erwägung zu ziehen. Denn was gar nicht geht, ist, die Konflikte ins eigene Land zu importieren. Werden Migrationsströme zur Dauerbelastung für die aufnehmenden Länder, so ist zu prüfen, ob die politisch verantwortlichen Verursacher der Migrationsströme als Aggressoren zu betrachten sind.
Das Asylrecht sollte weiterhin individuelles Schutzrecht für Menschen sein, die aus in der Person liegenden Gründen verfolgt werden, nicht Schutzrecht für Kriegs- oder Bürgerkriegsflüchtlinge und schon gar nicht ein Recht für Armuts- und Wirtschaftsflüchtlinge.
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Die Position des Migrations- Experten Paul Collier
Eine wie mir scheint sehr vernünftige und aufgeklärte Position zu diesem Thema vertritt Paul Collier, der britische Ökonom, Migrations- Experte und Autor des Buches ‘Exodus’. In einem Interview mit der ‘Welt’ [Archiv] äußerte er sich wie folgt:
»Es muss einen radikalen Schwenk in der Kommunikation geben. Europa muss klar sagen, dass sich die Wohlstandsmigranten gar nicht erst auf den Weg zu machen brauchen. Und auch die Flüchtlinge, die sich in Sicherheit bringen wollen, können das nicht länger in Europa tun, sondern in den sicheren Nachbarstaaten, ganz so, wie es völkerrechtlich festgelegt ist (1). Das Prinzip, dass sichere Anrainerstaaten Schutz bieten sollen, muss aus zwei Gründen zwingend gelten: Zum einen kommen die Flüchtlinge in das sichere Nachbarland am einfachsten hinein, ohne sich unnötig in Gefahr zu bringen. Und wenn wieder Frieden in ihrer Heimat herrscht, können die Flüchtlinge auch sehr einfach wieder zurück und beim Wiederaufbau helfen.«
Jedoch dürfe Europa die Aufnahmeländer nicht mit der Versorgung der Flüchtlinge allein lassen. Es sei Sache der reichen Länder, diese Länder angemessen zu entschädigen. Collier: «Wir müssen den Menschen, die ihre Heimat nicht freiwillig verlassen haben, helfen. Aber deshalb haben sie noch lange keinen Anspruch auf einen Platz im europäischen Wohlstandshimmel.» (Die Welt, 29.01.2016)
(1) Es gibt kein Recht auf Einreise in ein Land seiner Wahl, außer ins Heimatland (AEMR 13) oder wenn man unmittelbar aus einem Land einreist, in dem man verfolgt wird (GFK 31.1). Kommt man aus einem sicheren Nachbarland, entfällt dieser Grund. Das Zurückweisungsverbot (Refoulment- Verbot) gilt somit nur für Zurückweisungen in Länder, in denen der Asylsuchende verfolgt wird.
Weitere Erläuterungen zu Colliers Konzept und der EU- Asyl- Flüchtlings- und Migrationspolitik unter diesem Link: Konjunkturprogramm für Schleuser)
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Links:
Ohne kulturelle Dankbarkeit keine Demokratie (Flaig / Achgut)
Geändert: 2021-07-31
Grafik: François Dubois, Bartholomäusnacht, Public domain
Eigenwohl & Gemeinwohl
Das aufgeklärte Menschenbild basiert auf der Idee vom Menschen als einem freien, unbedingten und selbstbestimmten Subjekt, das gemäß Selbstzweckformel keinen fremden Zwecken unterworfen ist.
Der Mensch lebt aber nicht alleine auf der Welt, sondern mit vielen anderen unbedingten Subjekten aka Menschen zusammen. Zudem ist er sowohl Teil der Schöpfung wie der menschlichen Gemeinschaft, die beide zugleich seine Lebensgrundlagen darstellen.
Kant betrachtet den Erhalt der Schöpfung sowie ein friedliches, harmonisches Zusammenleben der Menschen als vernünftig, da sich nur auf dieser Grundlage der Menschheitszweck, die Autonomie aka Freiheit entfalten könne. Kant entnimmt dies nicht nur seiner Analyse der Vernunft, sondern auch dem ‘commen sense’, was nach meinem Verständnis nichts anderes ist als ein Bezug auf die aus der Natur erkannten Grundkonstanten des Lebens, nämlich dem Wunsch nach Selbsterhalt sowie nach Selbstverwirklichung, schöner gesagt Unsterblichkeit und Freiheit.
Wenn man dieses Axiom akzeptiert und jedem Subjekt zugesteht, braucht es Regeln des Zusammenlebens der Subjekte, die Kant im kategorischen Imperativ aus der Vernunft ableitet. Das ist eine ‘wenn- dann- Relation’: Wenn alle Menschen sich in Freiheit verwirklichen wollen, braucht es den Erhalt der Schöpfung und Harmonie und Respekt unter den Menschen.
Die aufgeklärte Vorstellung von menschlicher Gemeinschaft beruht auf der Idee von Gleichwertigkeit und Gleichberechtigung der menschlichen Subjekte sowie gemäß kategorischem Imperativ und Menschheitszweckformel auf der humanistischen Idee, dass Menschen respektvoll, gerecht und kooperativ zusammenleben sollen. Freiheit endet bei der Freiheit des anderen, Selbstbestimmung ist an Selbstverantwortung geknüpft, so dass niemand den anderen mutwillig beeinträchtigt oder ihm zur Last fällt. Die Beziehungen zwischen den Menschen sollen auf fairem Geben & Nehmen und dem Streben nach einem gerechten Ausgleich von Interessen gründen.
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Das Naturrecht ist nichts anderes als der Versuch des Menschen, der als perfekt oder zumindest als alternativlos empfundenen Natur Regeln abzulauschen und auf menschliches Zusammenleben zu übertragen. Natürlich sind Irrtümer dabei vorprogrammiert, denn die beständig aus einem Guss fließende Natur und der holprige menschliche Verstand sind völlig unterschiedliche Welten. Und Irren ist menschlich.