Eine fatale Entwicklung mit vielen Verlierern und wenigen Gewinnern.
In dem von Jerry Mander und Edward Goldsmith herausgegebenen und erstmals 2001 erschienenen Buch (auf deutsch: 2002) setzen sich internationale Aktivisten, Gewerkschafter, Ökonomen, Soziologen, Wissenschaftler, Journalisten und Experten wie Richard Barnet, John Cavanagh, Tony Clarke, Walden Bello, Vandana Shiva, Naomi Klein, Hermann Scheer in insgesamt knapp 30 Aufsätzen mit politischen, wirtschaftlichen, gesellschaftlichen und kulturellen Aspekten der Globalisierung auseinander.
Das Buch ist unterteilt in die drei Kapitel
1. Triebkräfte der Globalisierung
2. Auswirkungen der Globalisierung
3. Schritte zur Umkehr
Das Spektrum der Themen (-> Inhaltsverzeichnis) reicht dabei von A wie Atomkraft bis Z wie Zukunftsangst und noch darüber hinaus bis zum ‘Ende der Geschichte’ und der Abkehr davon, von (Neo-) Kolonialismus über Landraub, der autarke kleinbäuerliche Selbstversorger in land- und mittellose Wanderarbeiter oder Migranten verwandelt, bis zu den Folgen landwirtschaftlicher Monokulturen. Die Autoren beschäftigen sich mit verschiedenen Formen der Energiewirtschaft, Fragen des Umwelt- und Klimaschutzes ebenso wie mit Gentechnik und Klimakatastrophe. Herrschaftsmechanismen und Machtstrukturen von Konzernen und Bürokratien werden analysiert, das Geld-, Währungs-, Wirtschafts- und Finanzsystem sowie die Entwicklung zur Kasinoökonomie beleuchtet. Der Gesundheits- und Dienstleistungsbereich wird betrachtet und die Auswirkungen moderner Technologien. Die Rolle internationaler Organisationen wie IWF, WTO und Weltbank wird kritisch hinterfragt und Tendenzen zur Homogenisierung von Kulturen angesprochen. Und weiteres mehr.
1. Triebkräfte der Globalisierung
‘Weder Politiker noch Bildungseinrichtungen noch die Massenmedien haben je eine glaubhafte Anstrengung unternommen, den Menschen ‘den Charakter des neuen Systems [der Globalisierung] oder die ihm zugrunde liegende Philiosophie zu erklären’, schreibt Jerry Mander im Vorwort. Was es gibt, sind Heilsversprechungen von Befürwortern der Globalisierung wie Konzernchefs, den von ihnen protegierten Politikern und den Vertretern transnationaler Bürokratien. Darin wird die Globalisierung großmundig als Allheilmittel aller Probleme der Welt angepriesen. Sie werde das Problem der Armut lösen, die Umwelt retten und sogar den Terrorismus besiegen. Globaler Freihandel, Privatisierung, Deregulierung und Vereinheitlichung der Lebensbedingungen durch Strukturanpassungsprogramme (unter dem Motto der vier ‘flows’, des freien Verkehrs von Kapital, Waren & Dienstleistungen, Menschen & Arbeit sowie Sicherheit & Recht) sind die Mittel und Methoden dazu, also genau diejenigen Ideen, denen wir die bedrohliche Lage der Gegenwart verdanken: Den Verfall der gesellschaftlichen Ordnung, die Zunahme von Armut, Heimatlosigkeit, Entfremdung und Zukunftsangst sowie die fortschreitende Zerstörung der Umwelt.
Die arglose Bestie
Carl Amery beschreibt in seinem Aufsatz über ‘Die arglose Bestie’ die (verderbliche) Logik der Globalisierer folgendermaßen: ‘Damit aber alles dem Markt zugeführt werden kann, muss alles einen Preis erhalten, sonst ist fairer Handel überhaupt nicht möglich. Die vielen Dinge auf der Welt, die noch keinen haben, müssen also einen bekommen – schon weil man mit neuen Waren neue Märkte erschließen kann. Es ist deshalb notwendig, die bisher so genannten Freien Güter, deren vornehmstes das Leben selbst ist, mit Handelspreisen zu versehen.’
Am Beispiel der Überführung der Allmende (Gemeindeland) in Privatbesitz vor einigen Jahrhunderten in England zählt Amery dann die weiteren elementaren Freien Güter auf, die alle gegenwärtig unter Privatisierungsdruck stehen oder bereits privatisiert sind: Erde (Grund & Boden), Wasser (Trinkwasser), Luft (Smog etc.), Feuer (Energie).
2. Auswirkungen der Globalisierung
Die gegenwärtig praktizierte (neoliberale) Globalisierung erscheint dabei vor dem Hintergrund des derzeitigen, von Kriegen und Bürgerkriegen, Hunger, Verelendung und Migrationsbewegungen geprägten Geschehens in der Welt, als ‘fatale Entwicklung mit vielen Verlierern und wenigen Gewinnern’, an der auch das Versagen der Medien einen nicht geringen Anteil hat. Denn statt – wie versprochen und in den Leitmedien propagiert – durch Freihandel und Wegfall aller Grenzen für Kapital, Arbeit, Waren und Menschen Frieden und Wohlstand für alle zu schaffen, produziere die Globalisierung [ein geradezu aberwitzig anwachsendes Gefälle zwischen Reich (Kapital) & Fleißig (Arbeit),] grenzenlose Konkurrenz auf dem Arbeitsmarkt, totale Unselbständigkeit und Abhängigkeiten von Monokulturen und globalen Unternehmen sowie anonyme, gesichtslose Macht-, Konzern- und Bürokratiemonster. Begleitet werde diese Entwicklung vom Niedergang der (Groß-) Familie und vertrauter, überschaubarer Gemeinschaften, der Auflösung lokaler und regionaler Strukturen und dem Verlust an sozialer Orientierung aufgrund der Erosion kultureller Normen und Werte. In der globalisierten Welt dominiere die Profitmaximierung gegenüber der Menschlichkeit und von Lobbyisten global agierender Investoren maßgeblich geformte ‘marktkonforme Demokratien’ torpedierten zunehmend die auf Überschaubarkeit und Subsidiarität angewiesene Selbstbestimmung der Menschen. Nur regionale Märkte, die dem gesamten Spektrum der Bedürfnisse von Anbietern wie Nachfragern gerecht werden, seien aber demokratiekonform.
In seinem Schlusswort schreibt Co-Herausgeber Edward Goldsmith: “Für den größten Teil der Menschheit bedeutet Globalisierung … nur eine beispiellose Zunahme an Unsicherheit, Arbeitslosigkeit, Armut, Krankheit, Unterernährung und Umweltzerstörung. […] Wer eine moderne Ausbildung genossen hat, wird nicht leicht verstehen, warum das so ist. Uns allen wurde beigebracht, dass wirtschaftliche Entwicklung, gemessen an einem kontinuierlich wachsenden BSP (Bruttosozialprodukt), der Schlüssel zu weltweitem Wohlstand und menschlichem Wohlbefinden ist. […] Aber das Gegenteil ist leider der Fall. Nie waren die genannten Probleme ernsthafter und weiter verbreitet.”
3. Schritte zur Umkehr
Im dritten Teil des Buches werden Perspektiven einer Abkehr von der Globalisierung entworfen, die weder ein demokratischer noch evolutionärer Prozess, sondern lediglich ein wirtschaftliches Experiment sei, ein Projekt von Menschen für Institutionen. Die Autoren schlagen eine Rückkehr zu lokalen Wurzeln und den Wiederaufbau und Schutz regionaler Strukturen vor. Dieser Weg werde für die entwickelten, industrialisierten und von den ursprünglichen und natürlichen Lebensweisen weiter entfernten Länder der ersten Welt vermutlich schwieriger werden als für einige erst seit wenigen Jahren oder Jahrzehnten und teilweise nur peripher mit der Globalisierung in Berührung gekommene Gesellschaften in der dritten Welt.
Zu dieser Rezension
Während meiner Beschäftigung mit dem “Schwarzbuch Globalisierung” und der Thematik insgesamt musste ich feststellen, dass dieses Buch und das Thema insgesamt viel zu komplex, mächtig und umfassend ist, um ihm mit einer kurzen Rezension auch nur ansatzweise gerecht zu werden. Insofern stellt dieser Text lediglich eine Annäherung an die Materie dar. Wer die wahrscheinlich ‘fundamentalste Umstrukturierung der politischen und wirtschaftlichen Verhältnisse auf unserem Planeten mindestens seit der industriellen Revolution’ besser verstehen will, dem sei die Lektüre des Buches und das gründliche Studium der in diesem Werk publizierten Aufsätze ans Herz gelegt.
Links
Ob man es nun glaubt oder nicht: Es gab eine Zeit, da weite Teile der Linken und sogar die ‘Zeit’ globalisierungskritisch waren. Hier ein Zitat zur Beschreibung der Globalisierungskritiker aus der Rezension der Zeit zum ‘Schwarzbuch Globalisierung’, welche kurz nach dem Erscheinen des Buches um die Jahrtausendwende herum publiziert worden war: “… der kanadische, katholische Sozialethiker Tony Clarke bringt sie auf einen Punkt: Die gemeinsame Basis des Handelns all der Tausende von Gruppen ist die Wiedererlangung der “Volkssouveränität”, weltweit. Am Ende geht es nicht nur um Armut, sondern um die Demokratie und deshalb zuallererst um die politische Transparenz der opaken globalen Herrschaftsorganisationen.”
Auch in der Süddeutschen Zeitung erschien noch 2012 ein lesenswerter Gastbeitrag des Schriftstellers Ingo Schulze mit dem Titel Kapitalismus braucht keine Demokratie zum Thema der Ökonomisierung aller Lebensbereiche, der Abschaffung von Demokratie, der Privatisierung von Gewinnen und Sozialisierung von Verlusten, die zum Ruin des Sozialstaates und zur Polarisation in Arm und Reich führt. Dabei nimmt er auch das zunehmend von offener und verdeckter Zensur gekennzeichnete ‘Geschwafel der Medien, die pausenlos reden, um über die eigentlichen Probleme nicht sprechen zu müssen’, aufs Korn.
Eine übersichtliche Darstellung der grundlegenden Thesen und Gedanken des herausragenden Globalisierungs- Vordenkers Thomas P.M. Barnett (siehe auch Buchtipps) erhält man auf der Website konjunktion.info. Ausführlicher beschäftigt sich das Kulturstudio mit den Thesen Barnetts.
Ein Beitrag über Sinn und Zweck, Fluch oder Segen der Privatisierung von Gemeineigentum in Form der ‘Public Private Partnerships’ (PPP) bzw. auf deutsch der ‘Öffentlich-Privaten Partnerschaften’ (ÖPP).
MultiKulti als Dogma: UN-Beauftragter Sutherland: »EU solle nationale Homogenitäten auflösen«
UN, EU, Weltbank und NGOs haben die Multikulti-Gesellschaft zum Dogma gemacht
Nationale Identität und Souveränität sind ein Hindernis auf dem Weg zur multikulturellen Gesellschaft. Daher werden sie bekämpft. Denn nur in einer grenzenlosen multikulturellen Gesellschaft können die Menschen ihr volles Arbeitspotential entfalten und vollumfänglich mit Kreditschulden belastet werden. Es geht um die maximale Ausbeutung auf Kosten der Identität von Völkern und Kulturen.
Wenn Frauen Staaten zerstören – Zivilisation und Sexus
Buchtipps:
Schwarzbuch Globalisierung. Eine fatale Entwicklung mit vielen Verlieren und wenigen Gewinnern – Sammlung von Aufsätzen zum Thema Gloibalisierung, herausgegeben von Jerry Mander und Edward Goldsmith. Das Buch ist derzeit vermutlich nur noch antiquarisch erhältlich.
Der Weg in die Weltdiktatur: Krieg und Frieden im 21. Jahrhundert. Die Strategie des Pentagon – Thomas P. M. Barnett, der Autor dieses Buches, gilt als einer der herausragenden Strategen der Globalisierung, der politische, ökonomische, kulturelle und militärische Gesichtspunkte in den Blick nimmt. Sein ebenso hoch gelobtes wie heftig kritisiertes Buch ‘The Pentagon’s New Map’ ist nun auch in deutscher Übersetzung erschienen, ausführlich kommentiert mit einem Vorwort von Dr. Michael Friedrich Vogt und einem Nachwort von Monika Donner, einer Ministerialrätin im österreichischen Verteidigungsministerium.
Die Grenzen des Wachstums. Bericht des Club of Rome zur Lage der Menschheit – Der erste Bericht an den Club of Rome von 1972.
2052. Der neue Bericht an den Club of Rome: Eine globale Prognose für die nächsten 40 Jahre – Der aktuelle Bericht an den Club of Rome von 2012.
Bildnachweis
Titelbild: By chenisyuan (chenisyuan) [GFDL or CC BY-SA 4.0–3.0–2.5–2.0–1.0], via Wikimedia Commons
Textbild: Die Globalisierung des westlich geprägten weiblichen Schönheitsideals mit Hilfe von Celebrities wie Marilyn Monroe – By Studio publicity still. 20th Century Fox [Public domain], via Wikimedia Commons
Hier gibt es eine weitere interessante Rezension zum Buch:
Zornig, aber zahnlos – Das “Schwarzbuch Globalisierung” bleibt nicht nur den Grundsätzen des Kapitalismus verhaftet
http://literaturkritik.de/id/5355