Professor Rainer Mausfeld über das absehbare Ende der „Demokratie”. Abdruck aus dem Buch „Fassadendemokratie und Tiefer Staat”.
Demokratie als Gefahr für den Elitenkonsens
Solange der Kapitalismus eine demokratische Politik für seine Belange und Anliegen nutzen konnte, waren weitere autoritäre Mittel zur Einhegung demokratischer Bestrebungen weitgehend unnötig. Natürlich waren sich die Eliten dieser grundsätzlichen Gefährdung stets bewusst und warnten immer wieder davor, die Demokratie „zu weit” zu treiben. Eigentlich fühlten sie sich bereits durch die etablierten und hochgradig „entschärften” Formen von Demokratie bedroht und warnten daher in den 1970er Jahren vor einer „Krise der Demokratie”. Mit einer solchen „Krise” meinten sie ein „Übermaß an Demokratie“ („excess of democracy“), wie der Bericht „The Crisis of Democracy“ von 1975 aufzeigt, der im Auftrag des von David Rockefeller initiierten Think Tanks „Trilaterale Kommission“ erstellt worden war. Für eine den wirtschaftlichen Sachzwängen angemessene effiziente Handhabung einer Demokratie sei es, wie der Bericht feststellt, erforderlich, dass die Bevölkerung politische Entscheidungen den Eliten überlasse.
Prof. Rainer Mausfeld: Wie werden Meinung und Demokratie gesteuert?
Um der Demokratie, also der Herrschaft „verantwortungsvoller” Eliten, eine hinreichende Stabilität zu verschaffen, wurde eine Vielzahl von Entwicklungen gefördert oder initiiert, durch die sich dies erreichen ließ. Hierzu gehörte vor allem die Förderung und die Verstärkung des Einflusses von wesentlich autoritär organisierten Strukturen innerhalb der Gesellschaft. Vor allem der gesamte Bereich der Wirtschaft ist im Kapitalismus in prototypischer Weise autoritär, wenn nicht gar totalitär organisiert. Er bildet in kapitalistischen Demokratien geradezu die Basiszelle anti-demokratischer Haltungen und Organisationsformen. Durch eine Erhöhung der Durchlässigkeit zentraler politischer Instanzen für Einflüsse aus dem privaten wirtschaftlichen Bereich lassen sich also autoritäre Elemente in öffentlich kaum sichtbarer Weise in den politischen Bereich einbringen. Andere Kernzellen genuin anti-demokratischer, autoritär organisierter Systeme sind der militärische Bereich, die Geheimdienste, Think Tanks und Stiftungen.
Die Geheimdienste zeigten seit je die Tendenz, sich gegenüber parlamentarischer Kontrolle zu verselbständigen und bildeten dabei teilweise systematische Verflechtungen zum organisierten Verbrechen aus. Prominentestes, weil vergleichsweise gut untersuchtes Beispiel ist die CIA. Schon in den 1950er Jahren bildeten Ölkartelle, Wall Street und CIA ein enges Geflecht von Machtstrukturen, das sich der Kontrolle durch die Regierung weitgehend entzog. Heute verfügen die USA über 17 Geheimdienste mit einem offiziellen Budget 53 Milliarden Dollar im Jahr 2016 betrug. Die wichtigsten Dienste sind: CIA, NSA, NRO, NGA, DIA und FBI; allein die NSA hat etwa 40.000 Angestellte. Hinzu kommt eine sich bürokratisch verselbständigende und sich demokratischer Kontrolle entziehende Sicherheitsbürokratie und -industrie: In den USA sind 1.271 staatliche Organisationen und 1.931 private Firmen mit insgesamt fast einer Millionen beteiligter Personen in Programme eingebunden, die unter dem Banner „counterterrorism“ und „homeland security“ weitgehend eigenständige und autoritär organisierte Strukturen bilden.
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„Marktkonforme Demokratie“ im totalitären Spätkapitalismus
Auch die ursprünglich in der Mitte der Gesellschaft verankerten Volksparteien verbanden sich immer enger mit wirtschaftlichen Interessengruppen und integrierten sich personell wie ideologisch in staatliche und wirtschaftliche Machtstrukturen. Durch ein großes Arsenal von Mechanismen, die bis in die Gesetzgebung reichen, wurde ein Spektrum offener und verdeckter Formen politischer Korruption etabliert und zunehmend institutionalisiert. Um nur ein jüngeres Beispiel zu nennen: Eine empirische Studie des Roosevelt Institute untersuchte „den Einfluss des Geldes auf Stimmabgaben zur Finanzregulation“ sowie im Telecom-Sektor „die Verbindung zwischen Industriespenden und Kongress-Stimmabgaben“ mit folgendem Ergebnis: „Viele Abgeordnete verkaufen das öffentliche Interesse für politischen Einfluss.“ So entstanden innerhalb einer vordergründig demokratischen Gesellschaft autoritär organisierte „Stabilitätskerne”.
Diese Entwicklungen beschleunigten und verstärkten sich in zuvor nicht gekannter Weise mit der Entfaltung des Neoliberalismus und dem mit ihm verbundenen Übergang vom demokratischen Kapitalismus der Nachkriegszeit zur „marktkonformen Demokratie” in einem zunehmend totalitären Spätkapitalismus. Die Demokratie erschien dem globalisierten Kapital nun nicht mehr als nützliches Mittel zur „sozialen Befriedung” und Produktivitätssteigerung, sondern als grundsätzlich hinderlich. Der Neoliberalismus verzichtete also zunehmend auf eine demokratische Rhetorik und ging dazu über, jede Form von Demokratie als Behinderung eines freien Marktes zu bekämpfen. Mit der wesentlich durch Think Tanks vorangetriebenen Entfaltung neoliberaler Ideologie fand der Übergang des Kapitalismus von einer autoritären zu einer zunehmend totalitären Organisationsform statt, die alle Bereiche des gesellschaftlichen Lebens nach dem neoliberalen Modell zu organisieren suchte.
Im Leitbild einer „marktkonformen Demokratie” wurde Demokratie darauf reduziert, „rationale“ Problemlösungen im Sinne einer Anpassung an die „Naturgesetzlichkeiten” globalisierter Märkte zu produzieren. Begleitet von ideologischen Kampfbegriffen wie „Strukturreformen” oder „Bürokratieabbau” wurden Kapital, Konzerne und Reiche über die Steuergesetzgebung und andere Mechanismen zunehmend von Beiträgen zu Gemeinschaftsaufgaben „entlastet”. Auf diese Weise wurde der Staat in seiner sozialen Handlungsfähigkeit ausgetrocknet und durch „ Austeritätspolitik” in die Schuldenabhängigkeit der Finanzmärkte getrieben. Der so erzeugte und den Finanzmärkten preisgegebene Schuldenstaat wurde in diesem Prozess weitgehend zu einem Umverteilungs- und Subventionsstaat für die ökonomisch Starken und zu einem Überwachungsstaat für die ökonomisch Schwachen umgebaut.
Die sogenannte Globalisierung machte das Kapital über nationale Grenzen hinweg mobil und flexibel, während die Mechanismen seiner demokratischen Einhegung national gebunden blieben. Hierdurch verschoben sich die tatsächlichen politischen Machtverhältnisse in einer für die Öffentlichkeit kaum noch zu ermessenden Weise zugunsten autoritär organisierter und öffentlich nahezu unsichtbarer Zentren der Macht. Den renommierten investigativen Journalisten Dana Priest und William Arkin zufolge gibt es mittlerweile „zwei Regierungen: die eine, mit der die Bürger vertraut sind, die mehr oder weniger öffentlich betrieben wird; die andere, eine parallele, streng geheime Regierung, deren Teile wie Pilze aus dem Boden geschossen sind und sich in weniger als einem Jahrzehnt zu einem gigantischen Universum eigener Art ausgebreitet haben, sichtbar nur für sorgsam überprüfte Kader — und in ihrer Gesamtheit nur für Gott.“
Damit wird die von den Erfindern der repräsentativen Demokratie aufgestellte Forderung, “Wem das Land gehört, der soll es auch regieren”, unter den neoliberalen Bedingungen globalisierter Finanzmärkte in einer so radikalen Weise erfüllt, dass wohl keiner der Gründerväter der amerikanischen Verfassung das resultierende totalitäre Machtgebilde auch nur in die Nähe des Begriffs Demokratie bringen würde. Für diejenigen indes, die als Politiker im Rahmen der gegenwärtig vorgegebenen Machtkoordinaten operieren, ist die damit einhergehende vollständige Aushebelung der Demokratie eine ganz selbstverständliche Arbeitsgrundlage. Schon Hans Tietmeyer, Staatssekretär und Chefunterhändler der Regierung Helmut Kohl bei den Weltwirtschaftsgipfeln, hatte diese Arbeitsgrundlage am 3. Februar 1996 auf dem Weltwirtschaftsforum in Davos klar zum Ausdruck gebracht: „Ich habe bisweilen den Eindruck, dass sich die meisten Politiker immer noch nicht darüber im Klaren sind, wie sehr sie bereits heute unter der Kontrolle der Finanzmärkte stehen und sogar von diesen beherrscht werden.“
Und auch der Bayerische Ministerpräsident Horst Seehofer hatte das eigentlich Selbstverständliche am 20. Mai 2010 ganz beiläufig ausgesprochen: „Diejenigen, die entscheiden, sind nicht gewählt, und diejenigen, die gewählt werden, haben nichts zu entscheiden.“
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Rainer Mausfeld: Die Wahrheit über die Demokratie
(Teil 1) Demokratie ohne Demokratie
(Teil 2) Repräsentative Demokratie als Elitendemokratie
(Teil 3) Autoritäre Elemente in der kapitalistischen Demokratie
(Teil 4) Demokratie als Gefahr für den Elitenkonsens | „Marktkonforme Demokratie“
(Teil 5) Postdemokratie als totalitäre Herrschaft | „Tiefer Staat“
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Prof. Dr. Bernd Rabehl über die 68er und die Zuwanderung
https://youtu.be/_XeiMm309aY
Die bekannte indische Globalisiertungkritikerin Arundhati Roy hat in ihrer Rede vom 13. Mai 2003 in NYC wesentliche Kritikpunkte an Theorie & Praxis westlicher Demokratien formuliert. Ich denke, dass das nachfolgende Zitat aus dieser Rede eine gute Ergänzung zu diesem sehr umfangreichen Artikel von Mausfeld darstellt und dem eiligen Leser einen ersten Einstieg in die Thematik vermittelt, um die es hier geht.
“Die Demokratie, die Heilige Kuh der modernen Welt, befindet sich in der Krise. Und es ist eine tiefgreifende Krise. Im Namen der Demokratie werden alle Arten von Verbrechen begangen. Aus ihr wurde wenig mehr als ein ausgehöhltes Wort, eine hübsche Schale, jeglichen Inhalts oder Sinns entleert. Sie ist so, wie man sie haben will. Die Demokratie ist die Hure der freien Welt, bereit, sich nach Wunsch an- und auszuziehen, bereit, die verschiedensten Geschmäcker zufriedenzustellen. Man nutzt und missbraucht sie nach Belieben.
Bis vor Kurzem, noch in die 80er Jahre hinein, schien es so, als könnte die Demokratie tatsächlich ein gewisses Maß an echter sozialer Gerechtigkeit gewährleisten.
Aber moderne Demokratien existieren lange genug und neoliberale Kapitalisten hatten genug Zeit, um zu lernen, wie man sie untergräbt. Sie verstehen sich meisterlich in der Technik, die Instrumente der Demokratie zu infiltrieren – die ‘unabhängige’ Justiz, die ‘freie’ Presse, das Parlament – und sie zu ihren Zwecken umzuformen. Das Projekt der Unternehmensglobalisierung hat den Code geknackt. Eine freie Presse, freie Wahlen und eine freie Justiz haben wenig Bedeutung, wenn der freie Markt sie zu einer Ware gemacht hat, die meistbietend verkauft wird.”
Aus einer Rede von Arundhati Roy
http://schelmenstreich.de/wp-content/uploads/2017/09/Roy.Instantmischung.pdf
Überlegungen zur Herstellung echter Demokratie in Massengesellschaften
Hierzu 2 Ansätze:
1) Direkte Demokratie (Grundsatzentscheidungen werden wie in der Schweiz per Referenden (verbindliche Volkabstimmungen) getroffen. Problem: Bei diesem Verfahren droht eine Forcierung manipulativer Propaganda, Indoktrination und Gehirnwäsche.
2) Einsetzung eines völlig unabhängigen Ältestenrates als Kontrollgremium mit Vetorecht, dessen Mitglieder per Los bestimmt werden. Die Mitglieder dieses Ältestenrates sollten bestimmte Kriterien erfüllen. Diese Kriterien könnten sein: Lebenserfahrung, z.B. Mindestalter 40 Jahre, Befähigung, z.B. abgeschlossene Berufsausbildung oder Nachweis mindestens 10- jähriger beruflicher Praxis, Zukunftsorientierung, z.B. Zeugung eines leiblichen Kindes. Weitere mögliche Spezifikationen: Die Mitgliedschaft sollte auf eine Amtsperiode beschränkt sein. Ich kann mir vorstellen, dass ein Ältestenrat aus 100 Personen besteht, von denen jedes Jahr 25 Personen ausscheiden und 25 neu bestimmt werden.
Danke für diese Stellungnahme.