[Gastbeitrag] ‘Warum ich kein Linker mehr bin’ … hieß mal eine Veröffentlichung. Nicht nur wegen der üblichen, altersbedingten Drift Richtung Konservatismus muss ich mir diese Frage heute oft von Freunden stellen lassen. Ich muss sie auch vor mir selbst beantworten, denn ich fühle mich nicht ohne Wehmut weggetrieben von der Welt, in der Jugend, Frauen, Internationalität, Weltoffenheit und Mut zur Veränderung auf der Verpackung stehen. Nun sitze ich tatsächlich öfter im Kreis alter weißer Männer, mit denen ich zwar die Weltsicht teile, an deren mangelnden Esprit und Visionsferne ich mich aber erst noch gewöhnen muss. Daher kehre ich von Zeit zu Zeit zurück. Noch geht das, aber das Klima wird für Menschen wie mich zunehmend gefährlicher.
Das Unversöhnliche, die Eskalation im Alltag rühren ganz wesentlich daher, dass sich die Kontrahenten gegenseitig unlautere, destruktive Absichten unterstellen. Und genau hier, an diesem Punkt endet meine Sympathie für linke und grüne Positionen. Das will ich erklären.
Im konservativ-rechten, populistischen, oppositionellen oder wie auch immer genannten Lager kann ich das Unlautere, Unmoralische einfach nicht sehen. Nicht in relevanter Ausprägung. Natürlich gibt es da zweifelhafte Figuren. Grenzgänger wie Gedeon, Höcke oder den “linken Glücksfall” Strache. Natürlich finden sich im migrations- und islamkritischen Lager immer genügend gut verwertbare Idioten, die strittige bis indiskutable Positionen vertreten. Sicher gibt es auch Aussagen, die man als rassistisch bezeichnen muss. Aber all das ist in der gegenwärtigen politischen Gesamtschau derart unbedeutend, dass es mir ein Rätsel bleibt, wie man allein aus der endlosen Wiederholung relativ weniger solcher Wahrnehmungen eine rechtsextreme, rassistische oder antisemitische Gefahr inmitten einer längst multiethnischen Realität konstruieren kann. Dieser aufgeblasene Popanz aus sorgsam ausgewählten Schlagzeilen, merkwürdig verbogenen BKA-Statistiken, aus dem Kontext gerissenen Aussagen und völlig willkürlichen Unterstellungen verfängt trotzdem. Bei Millionen Deutschen. Und – in vergleichbarer Form – rings um die Welt.
Die darauf aufbauende Mobilmachung gegen den ausgerufenen Feind erinnert indes an düsterste Zeiten. Zweifler, Oppositionelle werden heute mit beängstigenden Praktiken aus dem öffentlichen Räumen und Sozialen Netzwerken gedrängt. Offene Gewalt, abgefackelte Autos, beschmierte Privathäuser, eingeworfene Scheiben, das Blockieren von angemeldeten Versammlungen, Niederbrüllen, Rausschmisse von Regierungsgegnern aus Innenstädten, Ämtern, Restaurants, Kunstgalerien und Verlagen und Fernsehtalks, die neuzeitliche Variante des Teerens und Federns – das urkomische öffentliche Überschütten mit Milchshakes – gehören heute ebenso zum viel beklatschten Instrumentarium einer entfesselten Gesellschaft wie das Sperren von Profilen, Videos und Texten im virtuellen Raum. Darf man eigentlich Mob zu „Aktivist*innen“ sagen?
In unzähligen Diskussionen und Essays ringe ich damit, die Ursachen für die irren Veränderungen und die immer geringer werdende Chance für Verständigung zu erfassen. Das meiste dazu ist gesagt, aber noch immer tritt Neues, Überlegenswertes hinzu. Ein zentraler Punkt scheint mir zu sein, dass hinter der fast pogromartig aufgeheizten Stimmung ein Streit tatsächlicher Gewinner und Verlierer steht. Also – hier wie da – es sind Ängste vor Veränderung. Irrational übersteigerte, aber zumindest nachvollziehbare Ängste.
Welche Ängste sind das? Was haben die Befürworter einer multkulturellen, grenzenlosen Gesellschaft denn eigentlich konkret zu verlieren? Dass Grenzsicherungen und das Vorzeigen von Pässen die Freizügigkeit, den Handel, die Weltoffenheit zum Erliegen bringen können, erscheint wenig glaubwürdig. Israel wäre so ein einziger vor sich hin modernder Sumpf. Aber es feiert sich als weltoffenes Paradies für die gleichnamigen Vögel. Gut, aber was ist mit dem Abbau von demokratischen Errungenschaften durch Populisten, von dem man überall hört? Stichworte Pressefreiheit, Justiz, Orban? Hier lauert etwas ganz Wesentliches.
Wir wissen – wer über die mediale Infrastruktur verfügt, verfügt über die Deutungshoheit und hält damit das wesentlichste Machtwerkzeug in den Händen. Der tägliche Konsum klassischer Medien, die sich bei uns maßgeblich aus Zwangsabgaben finanzieren, zeigt wachen Zeitgenossen seit langem, dass eine freie Presse im Sinne einer vierten Gewalt schon seit Jahren nicht mehr existiert. Die Medienlandschaft ist besitzrechtlich, ökonomisch und ideell vollständig zum Bestandteil eines in sich geschlossenen Wirtschaftskreislaufs geworden. Die Leitmedien sind im Kern abhängig von den Futternäpfen, die ihnen die Machthaber im Ausgleich dafür sichern, dass ihre Macht als alternativlos dargestellt wird. Win-Win.
Wenn Strache im Suff die Kronenzeitung in seine Gewalt bringen will, ist das nicht viel mehr als die wütende Umkehrung eines existierenden Prinzips, das die Manipulation der öffentlichen Meinung zum Ziel hat. Status Quo der Pressefreiheit ist eben heute nicht die Freiheit, sondern die zum Missbrauch führende Unfreiheit. Dass man als Baum nichts vom Zustand des Waldes zu sagen hat, sollte nicht überraschen. Die nun also befürchtete Zerstörung dieses “freien, blühenden Medienlandschaft” Systems durch einen Politikwechsel ist real. Aber sie ist keine Gefahr für die Demokratie sondern birgt gerade die Chance auf deren Wiederherstellung. Wenn sie denn in einen Umbau mündet, der nach strikt demokratischen Grundsätzen erfolgt. Dies gilt gleichermaßen für die Wiederherstellung weiterer beschädigter demokratischer Grundpfeiler, die unabhängige Justiz, die Meinungsfreiheit, die Versammlungsfreiheit, den Rechtsstaat in seiner Gesamtheit. Wer aber hat heute Interesse daran, Fehler einzugestehen, auf Privilegien zu verzichten und den Zug wieder aufs Gleis zu setzen? Ich sehe niemanden.
Statt dessen werden immer neue Kampagnen gestartet. Vorwärtsverteidigung ist das Gebot der Stunde. 24h am Tag dröhnen die Warnungen vor der rechten Gefahr aus den Lautsprechern. Da sich trotz enormer Anstengungen zu wenige Belege finden, wird ein noch größeres, universelles Bedrohungsszenario hinzugefügt. Die zerstörte Zukunft. Die unendliche Geschichte von der wahlweise durch Hitze, Wasser, Dürre und Schnee gepeinigten Erde, in der bereits jetzt Milliarden Menschen als Klimaflüchtlinge umherirren. Dass „Flüchtende“ gar nicht umherirren, sondern ziemlich genaue Vorstellungen vom Wanderziel haben, wird geflissentlich übersehen. Sie wollen ausgerechnet ins Klimanotstandsgebiet Deutschland, wo in Küstenstädten und Bodenseeidyllen bereits Ausnahmezustände ausgerufen sind.
Aber egal – die einmal ausgerufenen Totschlagszahlen wabern durch die Diskurse. Siebentausend Studien, sechsundzwanzigtausend Wissenschafter….alle sind sich angeblich völlig einig über die Entschlüsselung des bisher eher als chaotischen geltenden Systems Klima. Jedenfalls wenn man den Leitmedien glaubt. Gerade noch daran verzweifelt, fünf Tage im Voraus das Wetter vorherzusagen, besteht heute bereits absolute Gewissheit, wie warm es in hundert Jahren sein wird und darüber, dass wir ohne die Klimatisierung des Planeten ins dürre Gras beißen oder neben Plastikmüll im Ozean schwimmen werden. Es tut mir leid, auch beim Thema Klimawandel wurde bisher so oft gelogen, verdreht, sich verrechnet und zurückgerudert, Relotius zum Live-Berichterstatter des Meeresspiegelanstiegs erhoben, Wahrscheinlichkeiten als Gewissheiten verkauft, dass man eben irgendwann Fragen stellt. Das Vertrauen in den Gehalt des andauernden Alarmismus ist einfach weg. Fragen zum Klimawandel zu stellen, wird heute behandelt wie die Leugnung des Holocaust. Und natürlich sind Klimasünder immer auch gewissenlose „Rechts-Kapitalisten“ in Personalunion, gegen die es aufzustehen oder zu hüpfen gilt.
Was befürchten nun die Rechten, die Bremser, Nationalisten? Das ist schnell aufgezählt. Vor allem – die Abschaffung eines sehr erfolgreichen Systems, das nach dem Krieg Frieden, Sicherheit, Wohlstand und eine prosperierende Wirtschaft geschaffen hat. Die Abschaffung von Schlüsselindustrien, den Verlust von individueller Freiheit und den einen erneuten Versuche, die soziale Marktwirtschaft durch sozialistische Planwirtschaft, Umverteilung, Enteignungen, Dirigismus und satte Abgabenlasten zu ersetzen. Die Aufgabe von Errungenschaften – die nicht zuletzt in Folge der Leistung alter weißer Männer – zum heutigen bunten Reiseleben der Easy-Jet-Generation, zu ingenieurtechnischen Innovationen, zu dicht gewebten sozialen Hängematten, kurz – zu dem Zustand geführt hat, der uns heute einen Migrationsrun auf Deutschland beschert. Und nicht zuletzt – den Verlust an Sicherheit, Wohlstand und sozialem Frieden, der durch die unkontrollierte millionenfache Einwanderung von Sozialisationen entsteht, deren Intoleranz und deren Vorstellungen vom sozialen Zusammenleben eklatant gegen den hier geltenden Gesellschaftskonsens verstößt. Der soziale Frieden erodiert und jeder neue Tag fordert neue Opfer. Unter Einheimischen und Migranten.
Das sind sie – die Ängste der Anderen, zu denen ich mich zähle. Und diese, meine Ängste – sorry – halte ich für sehr viel realistischer als die Rückkehr eines Nationalismus, der alles Bunte wieder Braun färbt und ethnisch reine Landschaften anstrebt.
Gut wäre es nach wie vor, über die Ängste auf beiden Seiten zu reden. Mit kommerziell produzierten Zerstörungsandrohungen ala Rezo, die nicht mehr nur die AfD, sondern nun auch CDU, CSU, FDP und sogar die SPD betreffen, mit Generalstreiks für ein deutsches Modellvorhaben zur Weltrettung (um das sich die Welt herzlich wenig kümmert) oder mit Hetzjagden auf alle Andersdenkenden (bilden Populisten eigentlich eine Rasse?) werden wir auch noch die letzten Reste politischer Konsensbildung beseitigen. Wetten? Das schaffen wir.
Autor: Rocco Burggraf
Titelbild: Pablo Picasso [CC BY-SA 3.0], via Wikimedia Commons
Was für eine grandiose Analyse! Die Wehmut ist inzwischen bei mir weggeweht. Gekommen ist eher die Wut auf die, die die Ideale von einst so schrecklich ins Gegenteil verkehren. Aus Stalinismus und Maoismus wurde offenbar so rein gar nichts gelernt. Für die früheren Freunde bin ich also jetzt ein Rassist, ein Nazi oder- wenn sie milde sind – ein Rechtspopulist.