Gibt es ein Recht, gar ein Menschenrecht auf Heimat? Ganz gewiss, meint der renommierte amerikanische Völkerrechtler, Historiker und einstige Sekretär der UN-Menschenrechtskommission Alfred de Zayas und geht noch einen Schritt weiter: Das Recht auf Heimat sei primäres Recht, die Basis des Völkerrechts, welches die Beziehungen zwischen sesshaften Völker regele und normiere.
“Ohne Seßhaftigkeit gibt es keine Staaten und auch kein Völkerrecht. Seßhaftigkeit ermöglicht die Entwicklung von Kultur, mit seinen vielen Ausdrucksformen in Architektur, Kunst, Literatur und auch Rechtswissenschaften. Die Garantie der Seßhaftigkeit ist das Heimatrecht.” (1)
Die grundlegenden völkerrechtlichen Normen, das Selbstbestimmungsrecht der Völker und das Gewalt- und Annexionsverbot, sind Ausdruck der Überzeugung, dass jeder Mensch und jedes Volk das fundamentale Recht besitzt, in seiner Heimat in Frieden zu leben und nicht von anderen vertrieben zu werden.
Das Recht auf Heimat ist daher auch die Basis der Menschenrechte, ‘denn bürgerliche und politische, wirtschaftliche, soziale und kulturelle Rechte würden nicht “im Leerraum ausgeübt, sondern ganz konkret auf dem Gebiet, wo der Mensch zu Hause ist.” […] Da die gesamte moderne Völkerrechtsordnung die Sesshaftigkeit der Völker, anerkannte Staatsgebiete und die Zugehörigkeit der Bewohner zu ihrem Gebiet voraussetze, “kann es kein Völkerrecht ohne das Recht auf die Heimat geben”.’ (2)
De Zayas verweist auf ein Zitat des renommierten Staats- und Völkerrechtlers Professor Otto Kimminich: „Das Recht auf die Heimat ist nicht nur das wichtigste der kollektiven Menschenrechte, sondern schafft auch die Voraussetzung für den Genuß vieler individueller Menschenrechte.“ (1)
Dieser Auffassung ist auch José Ayala Lasso, der erste UN-Hochkommissar für Menschenrechte. 1995 sagte er in der Frankfurter Paulskirche: “The right not to be expelled from one’s homeland is a fundamental right. […] The newest report of Special Rapporteur Awn Shawkat Al-Khasawneh concludes that population transfers violate the human rights of both transferred and receiving populations (E/CN.4/Sub.2/1994/18 | Ersatzlink).” (3)
Die entscheidenenden Worte von José Ayala Lasso in deutscher Übersetzung: “Bevölkerungstransfers verletzen sowohl die Rechte der transferierten Bevölkerungen wie die Rechte der aufnehmenden Bevölkerungen.” (3). Auf diesen Umstand wird im unten publizierten UN Dokument insbesondere unter Artikel 3, 5, 6, 7 und 11 ausdrücklich hingewiesen.
Bereits 1931 schrieb der französische Professor Robert Redslob in seinem Kurs an der Académie de Droit International in Den Haag (Haager Akademie für Völkerrecht): „Die Zwangsumsiedlung einer Bevölkerung kann nicht gebilligt werden, denn sie verletzt ein überragendes Recht […] [und] bedeutet die Opferung eines […] höchsten Gutes, das der Mensch unter Berufung auf ein nicht minder heiliges Recht erstrebt: das Heimatland. […] Es gibt ein Recht auf die Heimat, und es ist ein Menschenrecht.“ (1)
Und der Belgier Georges Scelle konstatierte in einer Konferenz des Institut de Droit International in Siena 1952: „Jeder Bevölkerungstransfer stellt eine Verletzung der neuzeitlichen internationalen Ethik dar, die die vorrangige Grundlage der internationalen Rechtsordnung ist. Jeder Massentransfer stellt eine Gewaltanwendung dar, die den allgemeinen Rechtsgrundsätzen widerspricht, ganz gleich, ob es sich um einen innerstaatlichen oder zwischenstaatlichen Transfer handelt.“ (1)
Menschenrechte und Transfer von Bevölkerungen
Aus einer Expertenkonferenz der UN im Februar 1997 in Genf, an der neben José Ayala Lasso auch de Zayas teilnahm, ging schließlich der Schlussbericht vom Sonderberichterstatter Awn Shawkat Al-Khasawneh an die UNO-Unterkommission für Menschenrechte hervor.
Erwähnenswert ist der zeitliche Kontext, in dem das Dokument entstand: In Jugoslawien herrschte zu dieser Zeit blutiger Bürgerkrieg, in dessen Verlauf es zu lokalen und regionalen ‘ethnischen Säuberungen’ (ethnic cleansing), Massakern, planmäßigen Massenvergewaltigungen und Vertreibungen kam. Die Belagerung Sarajevos und das Massaker von Srebrenica lagen gerade mal zwei Jahre zurück, der Genozid in Ruanda lag drei Jahre zurück. Der Bundestag hatte 1996 eine Resolution gegen die gezielte Ansiedelung von Han- Chinesen in Tibet [2 | 3] verabschiedet und der ungelöste Nahost- Konflikt Israel / Palästina mit Terror, Besetzungen, Intifada und Siedlungspolitik dauerte bereits seit Jahrzehnten an. Die Problematik sowohl von Vertreibungen als auch von Inbesitznahme durch Neuansiedlung war also ein Thema von hoher Relevanz.
De Zayas schreibt dazu: “In diesem Bericht wird das Recht auf die Heimat bekräftigt, und Konsequenzen werden daraus gezogen. In einer Erklärung von 13 Punkten werden Vertreibungen eindeutig als völkerrechtswidrig eingestuft, und die verletzten Rechtsgüter werden aufgezählt.
Diese Erklärung und der Bericht wurden anschließend von der Menschenrechtskommission angenommen, und vom UNO- Wirtschafts- und Sozialrat bestätigt, leider aber noch nicht von der UNO-Generalversammlung. Dies hat auch seine Gründe, denn Al Khasawneh ist inzwischen Richter am Internationalen Gerichtshof in den Haag und Ayala Lasso ist im Ruhestand. Mit anderen Worten, es fehlen die Förderer der Erklärung. Kein Mensch identifiziert sich mit der Erklärung als seine Erklärung. Und diese Inbesitznahme einer Resolution oder einer Erklärung ist in der Praxis der Vereinten Nationen sehr notwendig. Jemand muß bereit sein, dafür zu kämpfen.” (1)
Die Website Austria-Netz kommt zu folgender Einschätzung: ‘Auch die Völker Europas vom Stamm der Germanen haben laut UNO-Menschenrechtskommission ein Recht auf Schutz ihrer Heimat, so sagt es das Mitteilungsblatt der SL Nr. 8/1997, S. 218–220, mit Aktualisierung von 1998 aus. Nachtrag 1998: Dieser Bericht vom Juni 1997 wurde am 17. April 1998 von der UNO-Menschenrechtskommission einstimmig ohne Abstimmung beschlossen. Der Beschluß vom 17.4.1998 macht aus dem Bericht (für sich genommen) nicht verbindliches Völkerrecht („hard law“). Dennoch sind die Aussagen dieses Berichts bereits jetzt als hard law anzusehen, da sie zum größten Teil aus Internationalen Konventionen, Entscheidungen des UN-Sicherheitsrats und Urteilen Internationaler Gerichtshöfe ableitbar sind (und in dem Bericht auch genau so abgeleitet werden), die ihrerseits hard law darstellen.’
UN- Dokument: FREEDOM OF MOVEMENT – Human rights and population transfer
Erklärung über Bevölkerungstransfers und die Sesshaftmachung von Siedlern.
Das nachfolgende Dokument findet sich im Anhang (Appendix II) des Abschlussberichtes der Unterkommission zur Verhinderung von Diskriminierung und zum Schutz von Minderheiten bei der UN- Menschenrechtskommission.
Der Titel des Abschussberichtes lautet: Bewegungsfreiheit (Freedom Of Movement), der Untertitel ist: Menschenrechte und Transfer von Bevölkerungen (Human rights and population transfer). Verfasst wurde der Bericht von Special Rapporteur Mr. Al-Khasawneh. Auch aus meiner Sicht lässt sich aus diesen 13 Artikeln eindeutig ein Recht auf Heimat ableiten.
Economic and Social Council, Distr. GENERAL
E/CN.4/Sub.2/1997/23
27 June 1997
Original: ENGLISH
FREEDOM OF MOVEMENT
Human rights and population transfer
Final report of the Special Rapporteur, Mr. Al-Khasawneh
Hier eine Übersetzung des englischen Originaltextes:
Die UNO-Menschenrechtskommission beschloss am 17.4.1998 Folgendes
Entwurf einer Erklärung über Bevölkerungstransfers und die Sesshaftmachung von Siedlern
Artikel 1
Die in dieser Erklärung gesetzten Normen sind in allen Situationen anzuwenden, einschließlich Friedenszeiten, Situationen von Störungen und Spannungen, innerstaatlicher Gewalt, innerstaatlicher bewaffneter Konflikte, Situationen gemischter innerstaatlich-zwischenstaatlicher bewaffneter Konflikte, zwischenstaatlicher bewaffneter Konflikte und Situationen des öffentlichen Notstandes. Die Normen in dieser Erklärung sind unter allen Umständen verbindlich.
Artikel 2
Diese Normen sind verbindlich für und anwendbar auf alle Personen, Gruppen und Obrigkeiten ungeachtet ihres gesetzlichen Status.
Artikel 3
Rechtswidrige Bevölkerungstransfers umfassen eine Praxis oder Politik, die den Zweck oder das Ergebnis haben, Menschen in ein Gebiet oder aus einem Gebiet zu verbringen, sei es innerhalb internationaler Grenzen oder über Grenzen hinweg, oder innerhalb eines, in ein oder aus einem besetzten Gebiet ohne die freie und informierte Zustimmung sowohl der umgesiedelten als auch jeglicher aufnehmenden Bevölkerung.
Artikel 4
1. Jeder Mensch hat das Recht, in Frieden, Sicherheit und Würde in seiner Wohnstätte, in seiner Heimat und in seinem Land zu verbleiben.
2. Niemand darf dazu gezwungen werden, seine Wohnstätte zu verlassen.
3. Die Verbringung einer Bevölkerung oder von Bevölkerungsteilen darf nicht angeordnet, angeregt oder durchgeführt werden, es sei denn, ihre Sicherheit oder zwingende militärische Gründe verlangen es. Alle auf diese Weise verbrachten Personen haben das Recht, unmittelbar nach Beendigung der Umstände, die ihren Ortswechsel erzwungen hat, zu ihren Wohnstätten, in ihre Heimat oder an ihre Herkunftsorte zurückzukehren.
Artikel 5
Die Besiedlung eines besetzten oder umstrittenen Gebiets durch die Besatzungsmacht bzw. die es faktisch beherrschende Macht mit Teilen ihrer eigenen Zivilbevölkerung, sei es durch Transfer oder Anreize ist rechtswidrig.
Artikel 6
Jegliche Praxis oder Politik, die das Ziel oder den Effekt hat, die demographische Zusammensetzung einer Region, in der eine nationale, ethnische, sprachliche oder andere Minderheit oder eine autochthone Bevölkerung ansässig ist, zu ändern, sei es durch Vertreibung, Umsiedlung und/oder durch die Sesshaftmachung von Siedlern oder eine Kombination davon, ist rechtswidrig.
Artikel 7
Bevölkerungstransfers oder -austausche können nicht durch internationale Vereinbarungen legalisiert werden, wenn sie grundlegende Bestimmungen der Menschenrechte oder zwingende Normen des Völkerrechts verletzen.
Artikel 8
Jeder Mensch hat das Recht, in freier Entscheidung und in Sicherheit und Würde in das Land seiner Herkunft sowie innerhalb dessen an den Ort seiner Herkunft oder freien Wahl zurückzukehren. Die Ausübung des Rückkehrrechts schließt das Recht der Opfer auf angemessene Wiedergutmachung nicht aus, einschließlich der Rückgabe von Gütern, die ihnen im Zusammenhang mit dem oder als Ergebnis des Bevölkerungstransfers entzogen wurden, Entschädigung für jegliches Eigentum, das ihnen nicht zurückgegeben werden kann und allfällige andere, völkerrechtlich vorgesehene Reparationen.
Artikel 9
Die obengenannten Praktiken des Bevölkerungstransfers stellen Völkerrechtsverstöße dar, die sowohl staatliche Verantwortlichkeit als auch individuelle strafrechtliche Verantwortung begründen.
Artikel 10
Wo durch diese Erklärung verbotene Taten oder Unterlassungen begangen werden, sind die internationale Gemeinschaft als ganze und die einzelnen Staaten dazu verpflichtet: a) die durch solche Taten geschaffenen Situationen nicht als rechtmäßig anzuerkennen; b) im Falle laufender Vorgänge die sofortige Beendigung und die Rückgängigmachung ihrer schädlichen Folgen sicherzustellen; c) dem Staat, der eine solche Tat begangen hat oder noch begeht, bei der Aufrechterhaltung oder Verstärkung der dadurch geschaffenen Situation keine Hilfe, Beihilfe oder Unterstützung zu gewähren, sei es finanziell oder in anderer Form.
Artikel 11
Die Staaten sollen Maßnahmen ergreifen, die die Verhinderung von Bevölkerungstransfers und der Sesshaftmachung von Siedlern zum Ziel haben, einschließlich des Verbots der Anstachelung zum rassischen, religiösen oder sprachlichen Haß.
Artikel 12
Nichts in diesen Artikeln darf so ausgelegt werden, daß es den Rechtsstatus irgendeiner Obrigkeit oder von Gruppen oder Personen berührt, die in Situationen von innerstaatlicher Gewalt oder von Störungen und Spannungen oder des öffentlichen Notstandes involviert sind.
Artikel 13
1. Nichts in diesen Artikeln darf so ausgelegt werden, daß es die Anwendung der Bestimmungen gleich welcher internationaler humanitärer oder menschenrechtlicher Instrumente beschränkt oder beeinträchtigt.
2. Falls unterschiedliche Normen auf dieselbe Situation anwendbar sind, soll diejenige Bestimmung gelten, die den größtmöglichen Schutz für von Bevölkerungstransfers betroffene Einzelpersonen oder Gruppen bietet.
Links:
Originaltext (Annex II, ganz hinten) UN-Website | .pdf | .pdf
Originaltext, Ersatzlink, .pdf: (G9712924_E-CN-4-Sub-2–1997-23)
(1) Anspruch auf Heimat (Alfred Maurice de Zayas, Welt | Ersatzlink)
(2) Wer hat Anspruch auf Heimatrecht? (de Zayas | Ersatzlink)
(3) Rede José Ayala Lasso, Paulskirche Frankfurt, 1995 (Ersatzlink)
UN-Entwurf: Bevölkerungstransfers und Sesshaftmachung (gfbv)
UN-Menschenrechtskommission zu Heimat (austria-netz)
Recht auf Heimat (Wikipedia)
Titelbild: Hajotthu [CC BY-SA 3.0], via Wikimedia Commons
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